In der epochalen Schlacht, die in der Kirche tobt, ist ein Wachtturm gefallen: das Päpstliche Institut Johannes Paul II. Um das Ereignis in seinen Zusammenhang zu stellen, ist ein Artikel von George Weigel hilfreich mit dem aussagekräftigen Titel „Die Vandalen plündern Rom… erneut“.
Laut Weigel begann nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ein „Erbfolgekrieg“ zwischen „zwei Gruppen von Reformtheologen, die bis dahin miteinander verbündet waren“. Sie sammelten sich um die beiden Zeitschriften Concilium und Communio. Ultraprogressiv die erste, gemäßigt die zweite. In dem Konflikt ging es um nichts weniger als „die weltweite Kontrolle der theologischen Fakultäten“.
Die Wahl von Johannes Paul II., der Joseph Ratzinger zum Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre ernannte, bedeutete den Sieg der Gemäßigten über die Extremisten. Letztere standen ab 1978 „am Rand im großen Spiel der Kirchenpolitik“ – „auch wenn sie weiterhin mit eiserner Hand den Großteil der Stellen an den Theologischen Fakultäten und viele theologische Publikationen kontrollierten“.
Johannes Paul II. – so der US-amerikanische Autor – säuberte die kirchlichen Universitäten aber nicht von den progressiven Dozenten, sondern förderte stattdessen die Gründung neuer Institute wie die Päpstliche Universität Santa Croce des Opus Dei(und das Päpstliche Athenaeum Regina Apostolorum der Legionäre Christi, wie wir ergänzen wollen). Papst Wojtyla hegte dabei „das feste Vertrauen, daß das gute Geld – die gute Theologie – das ethisch schlechte Geld verdrängen würde“. Das Päpstliche Institut Johannes Paul II. für Ehe und Familie war dabei als ein „Schlüsselinstrument“ für diese kulturelle Operation gedacht, vor allem, um die Aufnahme der Enzyklika Veritatis splendor (1993) von Johannes Paul II. durch die ganze Kirche zu vertiefen.
Die Progressiven, die Weigel als „starrköpfig“ und „rücksichtslos“ beschreibt, haben in dieser Zeit sich darauf verlegt, auf ihre Gelegenheit zu lauern, um abzurechnen. Die Gelegenheit kam in den vergangenen Wochen, als am neuen Institut Johannes Paul II., dessen Großkanzler Kurienerzbischof Vincenzo Paglia ist, eine Säuberung „im stalinistischen Stil“ durchführt wurde gegen die theologischen und pastoralen Erben von Johannes Paul II. Der aufsehenerregendste Fall ist die Auflösung des Lehrstuhls für Moraltheologie nach 38 Jahren, den Msgr. Livio Melina innehatte. Die Schlußfolgerung, zugleich das Incipit zu Weigels Artikel, lautet, daß „in Rom seit dem 23. Juli eine Operation des rohen intellektuellen Vandalismus stattfindet: Was ursprünglich als Päpstliches Institut Johannes Paul II. für Ehe und Familie bekannt war, wurde herrisch und systematisch seiner namhaftesten Professoren beraubt, und seine zentralen Lehrveranstaltungen in Moraltheologie wurden gestrichen“.
In der Rekonstruktion der Ereignisse durch den Freund George Weigel gibt es allerdings eine Lücke. Wir wollen versuchen, sie zu schließen.
Zuallererst ist daran zu erinnern, daß auf die 27 Jahre des Pontifikats von Johannes Paul II. die acht Jahre der Kirchenleitung durch Benedikt XVI. folgten. Das sind insgesamt 35 Jahre der kirchlichen Vorherrschaft der Gemäßigten. Wie konnte es also sein, daß trotz dieser langen Periode die Jakobiner an die Macht gelangten und heute eine gnadenlose Unterdrückung ihrer Gegner umsetzen können?
Es kommt der Zweifel auf, daß dies der strukturellen Schwäche der Gemäßigten geschuldet ist. Doktrinelle Schwäche, weil sie sich auf den Versuch stützen, ein Ereignis wie das Zweite Vatikanische Konzil um jeden Preis rechtfertigen zu wollen, trotz dessen schwerer Verantwortung, angefangen von der ausgebliebenen Verurteilung des Kommunismus in einem historischen Moment, als dieser eine große Gefahr für die Kirche und den Westen darstellte. Strategische Schwäche, weil derjenige, der überzeugt ist, die Wahrheit zu verteidigen, nicht dulden kann, daß an den kirchlichen Universitäten, theologischen Fakultäten und Priesterseminaren weiterhin, jahrzehntelang, der Irrtum gelehrt werden kann, wie das während der Pontifikate von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. der Fall war. Die Strategie, die Wahrheit zu fördern, aber die Verurteilung des Irrtums zu vermeiden, geht nicht auf. Die Fakten haben diese Strategie nicht bestätigt, dafür aber das Greshamsche Gesetz (Thomas Gresham 1519–1579), laut dem das schlechte Geld das gute verdrängt (bad money drives out good) und nicht umgekehrt.
Der Verzicht von Benedikt XVI. auf sein Pontifikat (11. Februar 2013) war das Eingeständnis, daß diese Strategie gescheitert ist. Die Hermeneutik der Kontinuität erwies sich als unfähig, dem kirchlichen Jakobinertum entgegenzutreten, das nicht eine Interpretationslinie für theologische Dokumente ist, sondern ein Konzept zur Eroberung der Macht durch Personen und Fakten. Die Wahl von Papst Franziskus war die unausweichliche Konsequenz dieses historischen Scheiterns der gemäßigten Reformer.
Jorge Mario Bergoglio setzt sein „lebendiges Lehramt“ der Kirche jenen entgegen, die sich auf das „lebendige Lehramt“ des Zweiten Vaticanum berufen. Wenn ein Konzil der Kirche immer recht hat, wie könnte man dann ein Papst falschliegen, der sich als Inkarnation dieser Kirchenversammlung präsentiert? Papst Franziskus verachtet, wie alle Jakobiner, nichts mehr als die Zweideutigkeiten und Widersprüchlichkeiten der Gemäßigten, während er die Konsequenz und Kohärenz der Konterrevolutionäre respektiert und fürchtet. Wenn heute das Institut Johannes Paul II. von den Vandalen geplündert wird, dann gerade auch deshalb, weil es sich – als es Zeit war – nicht offen Papst Franziskus widersetzt hat.
Das Schreiben Amoris laetitia vom 19. März 2016 hat das klare Ziel, Veritatis splendor und die Morallehre von Johannes Paul II. zu zerstören, um sie durch ein neues Moralparadigma zu ersetzen. Die Dozenten des Instituts Johannes Paul II. hätten sich im Namen von Veritatis splendor und ihrer persönlichen Geschichte wie ein Mann gegen dieses Attentat gegen die katholische Moral erheben müssen, vor allem nachdem Papst Franziskus sich geweigert hatte, die vier Kardinäle, die Autoren der Dubia, zu empfangen, und nach dem Reskript von Franziskus vom 5. Juli 2017, laut dem die authentische Interpretation des päpstlichen Dokuments die der Bischöfe der argentinischen Kirchenprovinz Buenos Aires ist. Die Absicht von Papst Franziskus war und ist allen klar. Keiner der Theologen des Instituts hat jedoch die Correctio filialis de haeresibus propagati vom 24. September 2017 unterschrieben, und keiner hat irgendein Dokument veröffentlicht, in dem Amoris laetitia einer notwendigen, strengen Kritik unterzogen wird.
Am 3. August präsentierte sich Msgr. Livio Melina in einem Interview der Tageszeitung La Verità als Opfer einer ungerechten Säuberung, weil er Amoris laetitia im Licht des kirchlichen Lehramtes interpretieren wollte. Das Problem aber ist, daß Amoris laetitia gar nicht im Licht des immerwährenden Lehramtes interpretiert werden kann, weil es ein neues Paradigma der Moral vertritt, das mit Veritatis splendor unvereinbar ist.
Papst Franziskus ist davon überzeugt – und wir mit ihm.
Vielleicht ist auch Msgr. Melina davon überzeugt. Öffentlich gesagt hat er es aber nie. Dieses Schweigen hat seine Enthauptung nicht verhindert. Warum sich aber darüber wundern? Hat die französische Revolution nichts gelehrt?
Die Schlacht verlangt heute nach Männern und Frauen, die mit aller Klarheit für die Tradition der Kirche kämpfen. Wenn es aber geschieht, daß ein Papst sich gegen die Tradition stellt, müssen wir bei allem Respekt uns von ihm distanzieren, indem wir unerschütterlich in der Kirche bleiben und entschlossen an der Tradition festhalten, von der er – nicht wir – sich scheint lossagen zu wollen. Ein so tüchtiger Theologe wie Msgr. Melina verfügt über alle intellektuellen Instrumente, um zu verstehen, wie es möglich ist, den doktrinellen und pastoralen Irrtümern zu widerstehen, ohne es zugleich an der gebotenen Liebe und Verehrung gegenüber dem Stuhl Petri fehlen zu lassen.
Die Stunde des Minimalismus ist vorbei. Es ist der Augenblick gekommen, in dem die Wahrheit und der Irrtum sich ins Gesicht schauen müssen – ohne Kompromisse. Das ist die einzige Möglichkeit, den die Wahrheit hat, um zu siegen. Wir brauchen Männer und Frauen, die bereit sind, zu kämpfen, und notfalls im Kampf auch zu fallen, aber ehrenvoll.