Fratelli tutti – Alle Brüder?

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Die dritte Enzyklika von Papst Franziskus, „Fratelli tutti“ (Alle Brüder), die am 3. Oktober in Assisi unterzeichnet wurde, scheint fast das Schlußdokument seines Pontifikats zu sein, eine Art politisches Testament. Denn die Enzyklika ist politisch, so wie das gesamte Pontifikat von Papst Franziskus.

Einer der treuesten Mitarbeiter von Papst Franziskus, Andrea Tornielli, der Kommunikationsdirektor des Heiligen Stuhls, verwendete bei der Vorstellung der Enzyklika nicht den Begriff politisch, sondern den Begriff „sozial“, was im Wesentlichen dasselbe ist, und schreibt:

„Die neue Enzyklika ‚Alle Brüder‘ präsentiert sich als Gesamtheit der Soziallehre von Franziskus, und sammelt auf systematische Weise die Ideen, die durch Verlautbarungen, Reden und Stellungnahmen der ersten sieben Jahre seines Pontifikats geboten wurden“.

Ein Ursprung und eine Inspiration – sagt Tornielli – ist sicherlich das „Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“, das am 4. Februar 2019 in Abu Dhabi zusammen mit dem Großimam von Al-Azhar, Ahmad Al-Tayyeb, unterzeichnet wurde .

Al-Tayyeb ist einer der am häufigsten zitierten Autoren in der Enzyklika, und es überrascht nicht, daß er in seinem ersten Kommentar auf Twitter schrieb, daß es eine Botschaft ist, die „der Menschheit ihr Bewußtsein zurückgibt“.

Haben Al-Tayyeb und Papst Franziskus das gleiche Bewußtsein von der Menschheit? Aber in welchem Sinne? Papst Bergoglio erklärt es:

„Träumen wir als eine einzige Menschheit, […] jeder mit dem Reichtum seines Glaubens oder seiner Überzeugungen, jeder mit seiner eigenen Stimme, alles Geschwister“ (Nr. 8).

Die absolute Wahrheit ist nicht Jesus Christus, in dessen Namen und Taufe Christen Brüder sind. Die Brüderlichkeit ist ein noch höherer Wert als Christus selbst, weil er laut Papst Franziskus in der Lage sei, Katholiken, Muslime, Buddhisten und sogar Atheisten zusammenzubringen, die auch ihren eigenen Glauben und ihre eigene Überzeugung haben.

Papst Franziskus erinnert zu Beginn der Enzyklika an den Besuch des heiligen Franz von Assisi bei Sultan Malik-al-Kamil in Ägypten, den er als eine Suche nach Dialog darstellt, obwohl alle zeitgenössischen Quellen uns sagen, daß der Heilige den Sultan bekehren wollte und die Kreuzfahrer unterstützte, die im Heiligen Land kämpften. Aber das Treffen zwischen dem Heiligen und dem Sultan ist gescheitert, und Papst Bergoglio scheint beweisen zu wollen, daß er besser in der Lage ist, das Projekt zu verwirklichen, und der erste Schritt war das Dokument von Abu Dhabi.

Um diesen Dialog herbeizuführen, ersetzt Franziskus die Prinzipien des katholischen Glaubens durch die der Französischen Revolution: insbesondere den Dreiklang „Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit“ (Nr. 104–105). Eine Utopie, die in der Geschichte nie verwirklicht wurde, aber dessen Architekt Papst Bergoglio im 21. Jahrhundert sein möchte.

„Brüderlichkeit“ und „soziale Freundschaft“ sind Schlüsselwörter der Enzyklika schon im Titel und bilden die neue Form der christlichen Liebe. Eine Liebe, deren Maß nicht die vertikale Beziehung zu Gott ist, sondern die horizontale zu unserem Nächsten. Brüderlichkeit wird auch „Solidarität“ genannt:

„Die Solidarität, verstanden in ihrem tiefsten Sinne, ist eine Art und Weise, Geschichte zu machen, und genau das ist es, was die Volksbewegungen tun“ (Nr. 116).

Die Volksbewegungen sind die marxistischen in Lateinamerika, denen Papst Franziskus immer nahestand. In der Enzyklika kritisiert er ausführlich die „populistischen politischen Regime“ und die „liberalen wirtschaftlichen Kreise“ (Nr. 37) sowie „Formen von engstirnigen und gewalttätigen Nationalismen“ (Nr. 86), ignoriert jedoch den Kommunismus. Die erste Weltmacht ist heute aber das kommunistische China, das sich offiziell auf Marx, Lenin und Mao beruft. Aber laut einem Mitarbeiter des Papstes wie Msgr. Sanchez Sorondo ist China das Land, das heute die Soziallehre der Kirche am besten anwendet, und vielleicht möchte der Heilige Stuhl deshalb privilegierte Beziehungen zu ihm haben. Der Papst ignoriert auch die Verantwortung des kommunistischen China bei der Ausbreitung des Coronavirus und schließt aus, daß diese Pandemie eine göttliche Strafe sein könnte (Nr. 134). Alle Päpste haben jedoch gelehrt, dass Epidemien, Kriege, Hungersnöte und alle Formen einer kollektiven Plage eine Folge menschlicher Sünde sind.

Doch von der Sünde und von ihren Folgen, auch den sozialen, spricht die Enzyklika nicht. Die einzige Sünde scheint die Ablehnung der Einwanderung zu sein, die das Werkzeug ist, um die „kreative Integration“ (Nr. 41) zu erreichen, die Papst Franziskus am Herzen liegt. Er scheint die Globalisierung zu kritisieren, aber das Ziel seiner Kritik ist in Wirklichkeit die von oben nach unten gerichtete und ungleiche Handhabung des globalistischen Projekts. Was er will, ist eine Globalisierung von unten, die sich auf alle sozialen Schichten und insbesondere auf den Süden des Planeten erstreckt und von den marxistischen Volksbewegungen verwaltet wird – und vielleicht von China.

„Aber wenn man als grundlegendes Rechtsprinzip akzeptiert, dass diese Rechte aus der bloßen Tatsache des Besitzes einer unveräußerlichen Menschenwürde hervorgehen, kann man die Herausforderung annehmen, von einer anderen Menschheit zu träumen und über eine solche nachzudenken. Es ist möglich, einen Planeten zu wünschen, der allen Menschen Land, Heimat und Arbeit bietet.“ (Nr. 127).

Wenn es jedoch ein Land gibt, in dem die Menschenrechte verletzt werden, dann ist es die Volksrepublik China. Wie kann das in einem Dokument, das sich auf die Menschenrechte als Grundlage des sozialen Zusammenlebens beruft, verschwiegen werden?

Vor allem aber bietet Papst Franziskus keinen Hinweis, wie seine Utopie verwirklicht werden sollte. Die Kirche verfügt jedoch über alle Mittel, nicht um einen utopischen Frieden auf Erden herbeizuführen, sondern um das Leben in diesem „Tal der Tränen“ zu erleichtern. Diese Werkzeuge sind das Gebet, die Sakramente, die Achtung des natürlichen und christlichen Rechts und das private und öffentliche Glaubensbekenntnis zu Jesus Christus, dem einzigen Weg, der Wahrheit und dem Leben. Diese übernatürliche Dimension fehlt leider völlig im Dokument von Papst Franziskus. Und die Tatsache, daß dieser Appell an die planetarische Brüderlichkeit genau zu einer Zeit erfolgt, in der ein Bruderkrieg die Kirchenführung auseinanderreißt, wird sicherlich nicht dazu beitragen, einen Erfolg sicherzustellen.